Donars Ziegenböcke

Bonifatius fällt die Donareiche auf dem Hülfensberg An demselben Tag, als der hl. Bonifatius die Donareiche fällen wollte, herrschte auf dem Hülfensberg reges Leben. Schon in aller Tagesfrühe zogen die Bewohner der Umgegend scharenweise hinauf, mit Äxten bewaffnet und zornigen Blickes die einen, betend und mit freudestrahlenden Gesichtern die andern. Auch von Geismar aus suchte ein Mann, abseits des Weges, den Berg zu erklimmen. Vor sich her trieb er zwei bekränzte Ziegenböcke, die geopfert werden sollten, wenn Bonifatius, von Donars Hammer zerschmettert, am Boden liegen würde. So hatte es der Opferpriester befohlen und gehorsam diesem Befehle brachte der Opfermann – denn das war der Ziegentreiber – die dem Gott geweihten Tiere hinauf zum Opferaltar. Doch heute wurde ihm dies nicht leicht. So störrisch und widerspenstig hatte sich noch nie eines der Opfertiere gezeigt. Immer und immer wieder suchten sie ihrem Führer entfliehen und nur unter größter Mühe und Anstrengung gelang es ihm endlich, Böcke auf die Höhe des Berges zu bringen. Dort aber hatte sich schon viel Volk zusammengefunden, so dass es dem Opfermann nicht mehr möglich war, an den Opferaltar zu gelangen und wohl oder übel musste er abseits unter einer der großen Buchen Halt machen. Hier band er seine Tiere an einen Baum und schaute unverwandt in die Richtung, aus der Bonifatius kommen sollte. Nicht lange hatte er so gestanden, als sich der Menge eine allgemeine Erregung bemächtigte. "Er kommt – er kommt!" Der Ruf ging von Mund zu Mund und alles drängte nach der Ostseite des Berges. Von dort kamen auch wirklich drei Männer im Gewand der Benediktiner herauf. Es war Bonifatius mit seinen Gehilfen. Festen Schrittes begaben sie sich zur Donareiche und mit feurigen Worten predigte Bonifatius von der Schändlichkeit des Götzendienstes, der Ohnmacht der Götzen und der Allmacht des allein wahren Gottes. Donars Ziegenböcke Darauf ergriff er die Axt und führte drei wuchtige Schläge. Plötzlich wurde die ungeheure Masse des Baumes wie von einem mächtigen Sturm geschüttelt und stürzte, in vier Teile zersplittert, zu Boden. In diesem Augenblick aber rissen die Böcke sich los von ihren Ketten und stürmten in Windeseile den steilen Berg hinab. Bald waren sie den Blicken des ihnen entsetzt nachschauenden Führers entschwunden. Erst als sie die "Ulrichsbirke" durchrast, machten sie bei der "Schänkstelle" kurzen Halt und schauten noch einmal hinauf zur Kuppe des Hülfensberges. Dann setzten sie mit gewaltigen Sprüngen über die Frieda, liefen weiter in der Richtung auf Bartloff zu und verschwanden in den Felsenklüften des Uhlensteins. Allnächtlich aber erkletterten sie in den folgenden Zeiten zwischen zwölf und ein Uhr nachts die höchste Kuppe des Uhlensteins und schauten ängstlich schreiend nach dem Hülfensberge, wo Bonifatius an der Stelle, wo die Donareiche gestanden hatte, aus dem Holz der Eiche eine Kapelle hatte erbauen lassen, die dem hl. Petrus geweiht war. Als später diese Kapelle baufällig wurde, ging man daran, an deren Stelle ein geräumiges Gotteshaus zu errichten. Aus Dankbarkeit für die vielen Gebetserhörungen, die man dem von Karl dem Großen geschenkten Kreuz zuschrieb, weihte man die Kirche dem göttlichen Erlöser. Der bisherige Schutzheilige der Kultstätte aber ward zum Beschützer des ebenfalls neu erbauten Gotteshauses auf der "Gerichtsstätte Großbartloff" ausersehen. Kaum aber hatte man die alte Kapelle niedergerissen, so kamen auch die Ziegenböcke wieder aus ihrem Versteck hervor, setzten in der Geisterstunde dort, wo die Lutter in die Frieda fließt, über den Steg und liefen bis zur Kuppe des Hülfensberges. Sobald sie aber das auf der neuen Kirche angebrachte Kreuz erblickten, eilten sie schleunigst zurück in ihr Versteck. Oft trug auch jedes der Tiere einen Reiter, das eine den heidnischen Opferpriester, das andere dessen Opfermann. Wer die Böcke sah, konnte sicher sein, dass ihm über kurz oder lang ein Unglück zustieß. Einmal, es war an einem dritten Kirmestag, hatten sich zwei dreiste Burschen des Dorfes Geismar verabredet, den Spuk aus nächster Nähe zu beobachten. Zu diesem Zweck legten sie sich beim Friedasteg auf die Lauer. Kaum war der letzte Glockenschlag verklungen, der den Bewohnern von Geismar das Anrücken der mitternächtlichen Stunde anzeigte, da kamen auch der germanische Priester und sein Opfermann auf den Böcken herangesprengt. Geisterhaft schnell waren die unheimlichen Reiter über den Steg. Die Burschen aber fassten sich ein Herz und riefen:

"Ziegenbock vom Uhlenstein,
trag uns übers Wässerlein!"

"Sogleich", tönte es da schauerlich vom anderen Ufer zurück! Die Reiter stiegen ab, die Böcke jagten zurück und ließen sich von den Burschen besteigen. Dann ging es hastig weiter. Kaum aber waren sie bis zur Mitte des Steges gekommen, als dieser so bedenklich ins Schwanken geriet, dass die Burschen entsetzt um Hilfe schrien. Erschreckt warfen die Böcke ihre Reiter ins Wasser, aus dem sie sich nur mit vieler Mühe zu retten vermochten. Als die Burschen zähneklappernd am Ufer standen, rauschte es über ihren Köpfen und die seltsamen Reiter, die sie zuvor gesehen hatten, waren verschwunden.

Im Lauf der Jahre ist der Steg durch eine feste Brücke ersetzt worden. Seitdem ist von dem Spuk nichts mehr zu sehen und zu hören und nur die Sage erinnert noch an ihn.

Blick vom Uhlenstein ins Südeichsfeld