Rundwanderung Keudelstein - Plesse - Hildebrandshausen

Den Auftakt dieser Reihe bildet eine Rundwanderung zum angrenzenden Hessenland. Dabei soll das Bergmassiv der Plesse mit den dazugehörigen Waldgebieten Keudelskuppe und Kohnstein besucht werden. Der Rückweg führt uns über das Nachbardorf Hildebrandshausen wieder nach Lengenfeld.

Beginn
Ausgangspunkt dieser Wanderung ist die Linde in der Bahnhofstraße. Von hier aus begeben wir uns zur Heide. Nach kurzer Zeit ist das "Haus auf der Heide" erreicht, bei welchem wir auf die Hildebrandshäuser Chaussee wechseln (in Richtung Tunnel). Auf halber Strecke biegen wir links in den Feldweg ein, der den Wallfahrern in den Sommermonaten als Prozessionsweg zum Hülfensberg dient. Nun geht es steil und stetig zum Keudelstein hinauf. Ein erster Blick zurück lässt erahnen, mit welcher Aussicht man am Waldeingang beim Keudelstein belohnt wird (Abbildung 1). Nach wenigen Minuten ist die steilste Etappe dieser Wanderung bewältigt. Am schattigen Waldeingang sollte man den Blick erneut zurückschweifen lassen. Lieblich und traut ruht die Lengenfelder Talheimat am Fuße des Walperbühls. Hoch darüber leuchtet das Höhendorf Effelder mit seinem „Eichsfelder Dom“ über die Berge der Heimat hinweg. In östlicher Ferne lässt sich bei klarer Sicht noch die Klosterschranne erkennen, die mit ihren schroffen Felsklippen von der altgrauen Vorzeit unserer Heimat kündet (Abbildung 2). Dieser unvergessliche Anblick wird noch lange im geistigen Auge des Betrachters haften. Nach dem Verlassen des Waldeinganges begeben wir uns auf einen relativ ebenen Weg, der von Hecken und Sträuchern gesäumt wird. Wenig später erreichen wir historisches Gelände. Die Stätte des ehemaligen Gutshofes Keudelstein liegt vor uns (Abbildung 3).

Am Keudelstein
Trist und verlassen präsentiert sich nun die Stelle, wo einstmals das Glanzstück der alten Baukunst in den Himmel ragte. Wir befinden uns bei den Ruinen des Rittergutes Keudelstein. Bevor das Rittergut von 1583 bis 1669 etappenweise erbaut wurde, befand sich nach Meinung vieler Historiker eine kleine Burg mit Namen „Plesse“ auf der Keudelskuppe. Eine Ausgrabung, die zu Beginn des vorigen Jahrhunderts erfolgte, konnte diese Vermutung bestätigen. Lassen wir an dieser Stelle den Lengenfelder Heimatforscher Anton Fick noch einmal zu Wort kommen, der 1959 vermerkte: „Durch Grabungen wurde tatsächlich erwiesen, dass die Keudelskuppe von einem festen Hause gekrönt wurde, das von eirunder Form und mit einer Vorburg versehen war. Nach den Grundmauern des Palas zu urteilen, war das Haus aus Fachwerk hergestellt, jedoch durch die schroffe Höhe geschützt, wie selten eine Burg. Die Maße des Palas konnten mit 9,12 m x 7,50 m festgestellt werden. Vier Kellerräume waren durch Grundmauern, die direkt auf Felsen ruhten, noch markiert.“ (aus: „Schloss Bischofstein im Eichsfelde“). Später soll das am Fuße der Keudelskuppe errichtete Rittergut aus den Steinen dieser kleinen Burg aufgebaut worden sein. Auf dem heutigen Areal befand sich zudem noch die kleine Siedlung „Kupsdorf“, welche in historischen Karten nur als Wüstung verzeichnet ist und bei der Errichtung des Rittergutes wohl schon verlassen war. Für viele Jahrhunderte wurde der Keudelstein nun von unterschiedlichen Eigentümern und Pächtern verwaltet und bewohnt, bis im Jahre 1978 das traurige Ende folgte. Die damalige Grenztruppenführung gab den Befehl zum vollständigen Abriss, weil befürchtet wurde, dass in den Resten Republikflüchtlinge Unterschlupf finden könnten. Heute erinnern sich nur noch wenige Menschen an diesen einst so prachtvollen Gutshof, zumal bis auf die Ausnahme zweier Portalfiguren nichts für die Nachwelt erhalten blieb. So scheint es zumindest auf den ersten Blick. Doch auch unsere Heimat birgt noch Geheimnisse, die sich nur dem aufmerksamen Betrachter offenbaren. Bei genauerer Erkundung konnte auf dem Areal des Keudelsteins ein alter Gewölbeeingang entdeckt werden, der auf weitere Kellerräume unter der Erde hoffen lässt (Abbildung 4). Vielleicht befinden sich hinter der abgebildeten Mauer noch weitere (verschüttete) Räume. Mit diesen erfreulichen Eindrücken wenden wir unsere Schritte zum angrenzenden „Kolonnenweg“. An der Weggabelung biegen wir nach links ein, um so die bereits erwähnte Keudelskuppe zu erreichen (Abbildung 6). Hinter uns ragt der Hülfensberg empor. Das Glockengeläut, welches die Menschen der Heimat zur Anbetung ruft, ist von hier aus deutlich vernehmbar (Abbildung 5). Um die Spitze der Keudelskuppe zu erreichen, verlassen wir nun den Kolonnenweg und wenden unsere Schritte dem nahe liegenden Waldeingang zu.

Keudelskuppe & Plesse
Der Wandersfreund, der beim Betreten des Waldeingangs einen alten Grenzstein entdeckt, hat den richtigen Pfad eingeschlagen. Kurze Zeit später stehen wir auf der 484 Meter hohen Keudelskuppe, die dem Betrachter einen Blick in das liebliche Werratal mit fruchtbaren Wiesen zu beiden Seiten des Flusses gewährt. Wir befinden uns nun bereits auf einem Ausläufer der Plesse, unmittelbar an der hessischen Landesgrenze. Das Hochplateau der Keudelskuppe, das später in die Plesse übergeht, wirkt wie ein gewaltiger Grenzstein zwischen dem Eichsfeld bzw. Thüringen und dem benachbarten Bundesland Hessen. An dieser Stelle sei noch erwähnt, dass die früheren Landesgrenzen oftmals an „natürlichen Barrieren“ wie z.B. Flüssen oder Bergen gezogen wurden. Nun folgt ein angenehmer Gang auf dem Bergrücken der Plesse und erneut befinden wir uns auf historischem Areal. Der Lengenfelder Natur- und Heimatforscher Lambert Rummel wusste 1956 hierzu Folgendes zu berichten: „Aus der deutschen Frühgeschichte wissen wir, dass sich um 1000 vor der Zeitrechnung vom Westen und Süden her der große Volksstamm der Kelten weit hinaus und somit auch in unserem Friedatal ausgebreitet hatte. Die Kelten gaben unserer Frieda den heute noch gesprochenen Namen, die Südspitze der Plesse nannten sie Kohn- oder Kuhnstein.“ (Cohn, keltisch=Spitze) Während man den Hochrücken der Plesse nun beschreitet, sollte man die Umgebung mit wachsamen Augen betrachten. In diesem Biotop, das gleichzeitig Naturschutzgebiet ist, lassen sich seltene Pflanzenarten (wie z.B. Orchideen) finden. Als nächste Station auf dieser Wanderung empfiehlt sich der „2-Dörfer-Blick“ am linken Ausläufer des Plessewaldes (Abbildung 7). Diese besondere Perspektive unserer Lengenfelder Heimat ist sicherlich einmalig. Noch dazu lassen sich in einiger Entfernung die Windkraftanlagen auf der eichsfeldischen Höhe bei Küllstedt erkennen. Kurz darauf erreichen wir die noch sichtbaren Reste der Plesse-Burg (Abbildung 8). Die Hildebrandshäuser Chronik gibt nochmals Auskunft darüber: „Gottschalk von der Plesse hat im Laufe der Zeit von 1251 bis 1259 die Grenze der heutigen ,,Keudelskuppe“ befestigt durch einen so genannten Burgstall, wovon heute noch die Reste dieses Burgstalles wahrnehmbar sind. Dieser Burgstall hat nicht lange bestanden.“ Ein weiterer Höhepunkt dieser Wanderung eröffnet sich ca. 20 Minuten später. Während die hessische Stadt Wanfried schon durch das Astwerk der Bäume funkelt, nähern wir uns rechter Hand einer Senkung, in der zwei Höhlen verborgen liegen.

Die Taterlöcher auf der Plesse
Diese Höhlen, die im Volksmund „Taterlöcher“ genannt werden, stehen symbolisch für die Schrecken des 30-jährigen Krieges in unseren Breiten. Die Wanfrieder Geschichtsschreiber haben uns dazu Folgendes überliefert: „Immer wieder mussten die bedrängten Menschen, sofern sie nicht geflohen waren oder hinter den Mauern der Festungen Schutz gefunden hatten, die Schlupfwinkel im Dunkel der Wälder aufsuchen, und oft mögen die Tater= d.i. Zigeunerlöcher auf der Plesse Zeugen gewesen sein von all dem Unglück, das aus den angstvollen Mienen der Flüchtlinge sprach.“ („Geschichte der Stadt Wanfried“, 1908)
Eine dieser Kalksteinhöhlen ist auch heute noch leicht zugänglich (Abbildung 9). Es handelt sich hierbei um eine Art „Gang“ im Felsgestein, der bereits nach wenigen Metern endet (Abbildung 10). Die zweite Höhle dagegen lässt sich nur mithilfe von speläologischer Ausrüstung erkunden, da sich der Zugang ca. 15 Meter tief in das Gestein stürzt.
Unvorstellbar, wie die gepeinigten Heimatmenschen im 30-jährigen Krieg hier aus Angst verharrten. Nachdem wir an den Taterlöchern kurz verweilt haben, nehmen wir unsere Wanderung wieder auf und erreichen nach zehn Minuten die imposante Plesseschlucht.

An der Plesseschlucht
Beim Betreten der Felsklippen ist äußerste Vorsicht geboten! Urplötzlich findet man sich an einem gähnenden Abgrund wieder (Abbildung 11). Greifvögel, die bei den zerklüfteten Felswänden nisten, kreisen gebieterisch in der Luft. In weiter Tiefe erspähen wir ein Trümmerfeld aus zerschmettertem Felsgestein, das einst an diesem Bergkamm haftete. Was war hier passiert? Die Geologie setzt für diese Naturkatastrophe einen sehr sachlichen und nüchternen Ausdruck – die Massenverlagerung. Doch hören wir noch einmal, was uns die Wanfrieder Chronik zu diesem gewaltigen Bergsturz berichtet: „1640. 24. Januar. Absturz eines Teiles der Plesse. Die Erschütterung war so groß, dass im städtischen Hochzeitshaus, in welchem Klaus Fischer seinen Ehrentag beging, die Tassen ein Ellen hoch gesprungen sind.“ Ausführliches zu diesem geotektonischen „Großereignis“ können Sie in einer der kommenden Ausgaben erfahren. Nun führt uns der Weg zum letzten Höhepunkt der Rundwanderung. Wir erreichen nach ca. drei Minuten den Plesseturm.

Ein Blick vom Plesseturm
Dieser majestätische Aussichtsturm wurde in den 1960er Jahren auf der Plesse errichtet. Der beherzte Wanderer, der die kühnen Höhen dieses Turmes erklimmt, wird an klaren Tagen mit einer wunderbaren Fernsicht auf die umliegende Gegend belohnt. Bereits im Jahre 1905 wurde der spektakuläre Blick von der Plesse in der Zeitschrift „Aus der Heimat“ angepriesen. Dort heißt es: „Bei Treffurt erscheint dir der Heldrastein (Hellerstein). In der Ferne aber erblickt dein spähendes Auge den Thüringer Wald, der dir mit seinen zahlreichen schön gerundeten Gipfeln (Inselsberg, Beerberg, Schneekopf), felsigen Kuppen und muldenförmigen Vertiefungen einen malerischen Anblick darbietet. An der Grenze des Gesichtsstreifes taucht selbst das Rhöngebirge auf. Nachdem du auch die Boyneburg bewundert, wird im Westen dein Blick von den hessischen Bergen gefesselt; ganz besonders ist es der Meißner, der die übrigen Berge bedeutend überragend, deine ganze Aufmerksamkeit auf sich zieht (Abbildung 12). Nach Norden ist die Aussicht nicht so lohnend, weil die höher gelegenen Berge bei Küllstedt, Wachstedt und Effelder dieselbe verhindern […].“ Nach diesem krönenden Abschluss unserer Wanderung schlagen wir den Weg ein, der geradlinig vom Plesseturm wegführt. Derjenige, der sich noch immer nicht an dem reizvollen Gefilde satt gesehen hat, kann nun noch rechter Hand zum Fuße des Kohnsteins wandern. Dort liegt in romantischer Waldeinsamkeit der Elfengrund mit seinem märchenhaft anmutenden Wasserfall. Alle anderen kehren an dieser Stelle in das Friedatal zurück. Über waldumsäumte Wiesen gelangt man zunächst in das schmucke Nachbardorf Hildebrandshausen. Von hier aus wandern wir über die Heide zurück zum Ausgangspunkt dieser Tour, wo unsere Wanderung endet. Der erfahrene Wanderer benötigt für diese Rundtour ca. vier Stunden.

Oliver Krebs,
im November 2005